Räuberpistolen aus der Luftfahrt-Berichterstattung

Einfach mal quatschen

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Kilo Mike Sierra
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Re: Räuberpistolen aus der Luftfahrt-Berichterstattung

Ungelesener Beitragvon Kilo Mike Sierra » Di 19. Nov 2013, 12:55

An diesen merkwürdig fehlerhaften Wikipedia-Artikeln komme ich einfach nicht vorbei.

Heute eine Kostprobe aus der englischen Version, wo man zum Landeunfall der Red Wings Tu-204 folgendes serviert bekommt:
... at the command of the captain the flight engineer turned off the engines by means of the emergency brake.


Übersetzung
... auf Anweisung des Kapitäns schaltete der Flugingenieur die Triebwerke mittels der Notbremse ab.


In einem Zeitungsbericht kann so etwas durchaus einmal vorkommen, aber in einer Enzyklopädie sind diese plumben Fehler einfach nicht tolerierbar.


Ich hacke ja bei fast jeder Gelegenheit auf der Amateur-Enzyklopädie Wikipedia herum, aber ich finde manchmal auch exzellente Artikel wie z.B. den über die Boeing 747, der wirklich lesenswert und ungewöhnlich fehlerfrei ist.
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Thomas

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Kilo Mike Sierra
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Re: Räuberpistolen aus der Luftfahrt-Berichterstattung

Ungelesener Beitragvon Kilo Mike Sierra » Mo 25. Nov 2013, 20:44

Eigentlich ist es nach dem Absturz der Tatarstan 737 in Kasan noch zu früh für spöttische Betrachtungen, aber dieser "Faktenbericht" klärt den Unfallhergang vollständig und auf Buddelkasten-Niveau auf.

Sie [die Piloten] versuchten die Nase des Flugzeugs anzuheben, büßten aber Geschwindigkeit ein. Um wieder Fahrt aufzunehmen, setzten die Piloten bei einer Höhe von 700 Metern zum Sturzflug an. Sie drückten dazu die Steuerkonsole nach vorne und ließen das Flugzeug nahezu senkrecht mit einer Geschwindigkeit von 450 Kilometern pro Stunde auf den Boden zurasen. Dann zogen sie die Nase nicht rechtzeitig wieder hoch, so dass die Boeing 737 ungebremst in den Boden knallte und in Flammen aufging.


Dieser Quatsch wird von den Lesern sogar ernst genommen, wie man anhand der dazugehörigen Kommentare erkennen kann.
Nachfolgend ein paar orthographisch/grammatisch unkorrigierte Kostproben:

Drückt mann jedoch die Nase bei vollen Klappen und evtl Störklappen zu weit nach vorne wirkt sich die negativ auf das flugverhalten aus und das Flugzeug drückt ab einem punkt dann von selbst voll nach unten.

Einen manuellen Sturzflug bei 700m Höhe herbeizuführen ist mir bisher nur aus FS [Microsoft Flight Simulator] bekannt. Oder ist das die übliche Prozedur bei Geschwindigkeitsverlust?

Nachdem die Maschine auch schon die Flüge davor heftig vibriert hat, kann man davon ausgehen das der Stick-Shaker nicht bemerkt wurde.

Es gab doch in der DDR auch mal so ein Flugzeugabsturz, bei dem die Russen unbedingt vertuschen wolten, dass es ein technischer Defekt war
War allerdings damals auch ne IL
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Thomas

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Re: Räuberpistolen aus der Luftfahrt-Berichterstattung

Ungelesener Beitragvon EA-Henning » Mo 25. Nov 2013, 21:20

Das sind Experdn ebend :-)
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Kilo Mike Sierra
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Re: Räuberpistolen aus der Luftfahrt-Berichterstattung

Ungelesener Beitragvon Kilo Mike Sierra » Mi 27. Nov 2013, 14:00

Die Experten bei Wikipedia kennen sich natürlich auch mit Flugsimulatoren aus.
Für Ausbildungszwecke adaptierte Unterhaltungsprogramme

Als preisgünstige Trainingsverfahren für Privatflieger werden heute auch behördlich zertifizierte Simulatoren verwendet, die auf ursprünglich für Unterhaltungszwecke entwickelten Simulatoren basieren.
Die Verwendung solcher Simulatoren zu Übungszwecken in IFR-Lehrgängen und für Musterlizenzen erfolgt derzeit noch ohne offiziellen Segen des Luftfahrtbundesamtes.

Die Unterstreichungen habe ich eingefügt. Sie zeigen, wie extrem sich wikiklopädiale Autoren in zwei aufeinanderfolgenden Sätzen widersprechen können.

Davon abgesehen dürfte der gesamte Artikel zum Thema Flugsimulation einer der dilettantischsten Texte in der deutschen Wikipedia sein. Er ist amateurhaft geschrieben und einfach grauenhaft schlecht.

Über die modernen Flugsimulatoren zur Ausbildung von Verkehrspiloten weiß man immerhin die folgenden Fakten.
Mit der Entwicklung leistungsfähiger Computersysteme wurde schließlich auch die Bilderzeugung vom Computer übernommen, siehe CGIVS. Während im Zivilbereich von Hydraulikstempeln bewegte, vollbewegliche Simulatoren (Hexapode) üblich sind, ...
Für die Ausbildung eingesetzte professionelle Simulationen sind oft für einen bestimmten Ausbildungszweck gebaut und zeichnen sich durch hohe Detailgenauigkeit für diesen Zweck aus. Dafür vernachlässigen diese Procedure Trainer bewusst Aspekte des Fluges, die nicht dem erklärten Ausbildungszweck entsprechen.

Diese Erleuchtung bringenden Allgemeinplätze sind aber auch schon alles zum Thema in diesem ellenlangen Artikel.
Aber es stimmt, professionelle Sachen werden meist für einen bestimmten Zweck gebaut.
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Re: Räuberpistolen aus der Luftfahrt-Berichterstattung

Ungelesener Beitragvon Kilo Mike Sierra » Mi 27. Nov 2013, 15:44

Manchmal ist es sogar lebensgefährlich, was in Wikipedia verkündet wird.
Luftbremsen werden bei Flugzeugen eingesetzt, um bei höherem Anstellwinkel die Fluggeschwindigkeit zu verringern.


Das ist der sichere Weg nach unten. Senkrecht!
Wir sollten das LBA endlich informieren.
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Re: Räuberpistolen aus der Luftfahrt-Berichterstattung

Ungelesener Beitragvon Flieger Bernd » Mi 27. Nov 2013, 19:26

Kilo Mike Sierra hat geschrieben: Luftbremsen werden bei Flugzeugen eingesetzt, um bei höherem Anstellwinkel die Fluggeschwindigkeit zu verringern.


Ick krieg 'ne Kriiiise Bild
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Kilo Mike Sierra
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Re: Räuberpistolen aus der Luftfahrt-Berichterstattung

Ungelesener Beitragvon Kilo Mike Sierra » Mo 2. Dez 2013, 17:24

À propos Krise...

INTERFLUG wird postum beschuldigt, am Niedergang von Laker Airways mitgewirkt zu haben. Natürlich steht derartiger Unfug exklusiv in Wikipedia.

Analysts identified the price war on holiday flights out of West Berlin as one of the factors responsible for the demise of Laker Airways in 1982.


Übersetzung
Analysten sehen den [von INTERFLUG geführten] Preiskrieg um Ferienflüge aus West-Berlin als einen der Faktoren, die für die Pleite von Laker Airways im Jahre 1982 verantwortlich waren.


So viel typische Wikipedia-Qualität in einem einzigen Satz ist schon bemerkenswert.

Als Quelle für diese interessante Behauptung geben sie dreist einen Artikel aus dem Magazin "Der Spiegel" aus dem Jahre 1981 an.
Dumm nur, daß Freddy Laker da noch gar nicht pleite war.
Außerdem steht in dem Artikel ohnehin etwas anderes. Es wird gar kein Analyst zitiert (wie behauptet), sondern der Autor des Beitrages erwähnt lediglich den Fakt, daß sich Laker Airways von der Fluglinie Berlin-Athen zurückgezogen hat - nachdem INTERFLUG auf der gleichen Linie den Flugpreis drastisch gesenkt hatte.
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Re: Räuberpistolen aus der Luftfahrt-Berichterstattung

Ungelesener Beitragvon FoxyOrange » Di 17. Dez 2013, 21:13

Hallo miteinander,

mein Name ist FoxyOrange und ich bin dafür verantwortlich, dass im Wikipedia-Eintrag über Interflug der bemängelte Satz über die mögliche Mitverantwortung am Untergang von Laker Airways stand. Ich würde das allerdings nicht als "dreist" bezeichnen, sondern als einen einfachen, unbeabsichtigten Fehler, der sich in meine Arbeit an einer kompletten Neufassung des Artikels eingeschlichen hat.

Man kann über Wikipedia denken was man will. Es ist allerdings wenig hilfreich, sich (wie hier geschehen) versteckt in irgendwelchen Internetforen über die dortigen Inhalte zu beklagen. Stattdessen sollte man die beteiligten Editoren ("Wikipedianer") über etwaige Probleme direkt informieren: Entweder durch eine Nachricht auf der Benutzerseite, oder mittels einer Mitteilung auf der Diskussionsseite des Artikels. (Oder natürlich selbst den Artikel bearbeiten; zumindest auf der englischen Wikipedia ist das in aller Regel ohne Weiteres möglich).

In der vergangenen Nacht wurde genau solch eine Nachricht auf der Interflug-Dsikussionsseite gepostet; sobald ich sie gesehen hatte, habe ich reagiert und den fraglichen Abschnitt entfernt. Hier im Forum war das Problem ja schon seit 2 Wochen bekannt, zu Wikipedia ist aber nichts durchgedrungen. Das ist Schade, so blieb der Fehler unnötigerweise bestehen.

Über Wikipedia-Artikel herzuziehen, halte ich für kontraproduktiv (schließlich kann ja jeder direkt zur Verbesserung beitragen). Anders gelagert sind natürlich Fälle von fehlerhafter Berichterstattung durch entsprechend ausgebildete, bezahlte Journalisten... >grins< In diesem Sinne: Wenn ihr Probleme (z.B. mit dem Wikipedia-Eintrag über Interflug) habt, lasst es uns wissen.
--FoxyOrange--
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Kilo Mike Sierra
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Re: Räuberpistolen aus der Luftfahrt-Berichterstattung

Ungelesener Beitragvon Kilo Mike Sierra » Mi 18. Dez 2013, 10:51

FoxyOrange, vielen Dank für die schnelle Korrektur des IF-Artikels.

Solche Attribute wie dreist und Unfug rutschen mir schnell mal raus, vor allem da ich schon oft gesehen habe, daß zur Untermauerung von Aussagen Quellen angegeben werden, die diese Aussagen gar nicht enthalten - und das war hier der Fall.

Ich habe es vor ca. zwei Jahren aufgegeben, an Wikipedia-Artikeln etwas zu verändern oder auch nur Hinweise auf den Diskussionsseiten zu hinterlassen.
Früher war ich viele Jahre sehr aktiv bei Wikipedia und habe sogar regelmäßig Geld an die Foundation gespendet.
Vor allem weil der Umgangston der Administratoren und mancher Editoren zunehmend unfreundlicher bis offen feindselig wurde und die Qualitätsrichtlinien (speziell was die "Bequellung" anbelangt) immer weltfremder wurden, habe ich mich von Wikipedia abgewendet. Ich selbst war nie Opfer eines Edit-Wars oder besonders grober persönlicher Angriffe. Trotzdem war irgendwann der Punkt erreicht, wo mir jegliche Motivation genommen wurde. Es war oft auch nur noch reine Zeitverschwendung, sich mit teilweise 12- bis 14-jährigen Möchtegern-Experten zu streiten, die sich ganz schnell irgendetwas "ergoogelt" haben oder auf im Fernsehen eine Dokumentation gesehen haben und dieses nun für die absolute Wahrheit halten.

Ja, Wikipedia war ein fazinierendes Projekt der sogenannten globalen Community und es hat auch Spaß gemacht, mit der höchst komfortablen Wiki-Software zu arbeiten. Die fehlende inhaltliche Verläßlichkeit und die breite Verwässerung der Artikel mit Trivia sind die beiden großen Qualitätsmängel von Wikipedia. Das steht noch viel besser beschrieben in dem Wikipedia-Artikel über Kritik an Wikipedia, den ich für einen ungewöhnlich guten Artikel halte.

Ich gebe zu, daß es mir manchmal noch in den Finger juckt, bestimmte Wikipedia-Artikel zu verbessern. Beispielsweise der Artikel über die INTERFLUG in der deutschsprachigen Wikipedia ist so verkorkst und zudem unstrukturiert, daß ich ihn am liebsten neu schreiben würde, nur auf das dann folgende Geschrei habe ich wirklich keine Lust mehr.


Die hier aufgeführten Räuberpistolen aus der Luftfahrtberichterstattung sollen vor allem die Folgen mangelhafter oder fehlender Recherche aufzeigen oder manchmal auch nur die fehlende Anwendung gesunden Menschenverstandes beim Autoren einer Meldung. Auf kleineren verzeihlichen Fehlern oder Komma- oder Tippfehlern soll hier natürlich nicht herumgehackt werden.

Dieses Thema sollte übrigens auch im Sinne von Satire betrachtet werden.
Ich muß aber zugeben, daß ich hier zwei Wikipedia-Artikel ganz unsatirisch und komplett verrissen habe. Das waren die über den Flight Director und über Flugsimulation, aber beide sind wirklich hoffnungslose Fälle.
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Thomas

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Re: Räuberpistolen aus der Luftfahrt-Berichterstattung

Ungelesener Beitragvon Flieger Bernd » Mi 18. Dez 2013, 10:53

Hallo FoxyOrange,
das sind klare offene Worte - gut geschrieben.
Ich habe schon (wenige) Korrekturen bei Wiki geschrieben, es braucht Zeit und Geduld.
Nicht immer kommt man in den Text und darf nur "Anmerkung" schreiben ...

An anderer Stelle wird Wiki hier im Forum von KMS auch gelobt (muß mal suchen wo das ist).
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