Die Besuche
Unser Hochzeitstag stand an, wir wollten ihn gemeinsam feiern. So hatten wir Frauen ein schmackhaftes Abendbrot vorbereitet, den Tisch liebevoll gedeckt und standen, hübsch anzusehen, auf dem Fernbahnsteig in Berlin-Schöneweide.
Der Zug fuhr endlich ein, kam langsam zum Stehen und die Türen öffneten sich. Unsere Blicke gingen hin und her, erfüllt von Vorfreude und Liebe. Plötzlich, 2 Taschen fliegen aus einem Abteil, Vorfreude wird kurz zur Vorahnung und dann bittere Gewissheit. Die Taschenbesitzer, unsere Männer, folgen im Sturzflug. Wir trauten unseren Augen nicht, als die beiden dann breit und schuldbewusst grinsend, sternhagelblau, vor uns standen.
Natürlich gab es eine Erklärung und natürlich traf sie keine Schuld. Die Russen, ja die Russen waren die Übeltäter. Man kam ins Gespräch und stieß dann mit echtem russischen Wodka an, der, wie sie immer wieder betonten, noch einen halben Meter über dem Boden, Feuer fing. Man trank auf die Freundschaft, die von Glas zu Glas tiefer und inniger wurde.
Wir konnten diesem selbstlosen und hoch motivierten Einsatz unserer Männer für die Vertiefung der Völkerfreundschaft und den Weltfrieden, dennoch nichts abgewinnen. Zogen wohl beide an diesem Abend eher eine Kriegserklärung in Betracht.
Die Sache mit dem Klubtisch
Es ist wieder Weihnachtszeit und ich zähle die Tage, bis Dirk bei uns ist. Es wird das letzte Weihnachtsfest in Berlin sein. Sein Studium neigt sich dem Ende entgegen und wir sind schon gespannt, wohin wir wohl geschickt werden. Natürlich wäre uns Marxwalde am Liebsten, nicht weit von Berlin und unserer Familie. Aber wir wissen, dass man wenig Einfluss auf die Standortwahl nehmen kann.
Wie immer habe ich mit den Kindern gebastelt, gebacken und dekoriert. Den Tisch, einen typischen runden DDR-Klubtisch, schmückt ein wunderschönes Adventsgesteck. Die Kinder schlafen bereits und ich lasse mir Badewasser ein. Ich bin müde und möchte mich, in dem heißen Bad, etwas entspannen. Ich bade schon immer sehr heiß, so heiß, dass Dirk selbst, nachdem ich fertig bin, immer noch reichlich kaltes Wasser nachlaufen lassen muss, um mir zu folgen.
So liege ich in dem duftenden Wasser, die Schweißperlen auf der Stirn und fühle mich wohlig und entspannt. Irgendwann muss ich dann eingeschlafen sein. Langsam komme ich zu mir und höre ein verdächtiges Knistern. Irgendwie ist es auch heller, finde ich. Plötzlich, der Gedanke durchdringt mich wie ein Blitz, weiß ich, woran das liegt. Ich springe, so schnell es geht, aus der Wanne und laufe ins Wohnzimmer. Mein Verdacht bestätigte sich. Ich hatte das Adventsgesteck brennen lassen und mittlerweile brannten auch der Tisch, der Sessel und ein Teil des Teppichs. Zum Glück hatte ich mein Badewasser parat und konnte so umgehend zum Feuerwehrmann werden. Die Flammen vollkommen erstickt, schaue ich erst einmal aufgeregt nach den Kindern. Alles gut, sie schlafen tief und fest, der Rauch hatte sie zum Glück nicht erreicht. Nun folgt die Bestandsaufnahme. Oh Gott, das Wohnzimmer sah grauenhaft aus. Stundenlang beseitigte ich in dieser Nacht den Ruß, der sich bis in die kleinsten Ritzen verteilt hat. Der Sessel wird mit einer Decke getarnt und der Teppich entsprechend gedreht.
Nur der Tisch blieb als Schandfleck und Zeugnis übrig. So machte ich mich am nächsten Tag auf die Suche nach einem neuen Tisch und hatte Glück. Der Zwilling unseres Tisches war irgendwo vorrätig. Den verbrannten Tisch stellte ich erst einmal auf den Flur vor den Fahrradraum.
Endlich war es soweit, Dirk kam auf Weihnachtsurlaub. Er schloss die Tür auf, kam aufgeregt ins Zimmer gestürzt und sagte dann erleichtert: „Ein Glück, ich dachte schon, das da draußen ist unser Tisch.“
Die Versicherung übernahm den Schaden, Sessel samt Sofa werden neu bezogen, der Teppich entsorgt und die Welt war wieder in Ordnung.
Langsam geht es in den Endspurt. Nur ein paar Wochen, dann haben wir die Jahre der Trennung wirklich überstanden. Dann heißt es ab, wo immer auch hin und endlich eine richtige Familie sein.
Dirk hat mit seinen Prüfungsvorbereitungen zu tun, ich träume von der neuen Zeit und kann es kaum noch erwarten.
Der letzte Zapfenstreich
Nun ist sie da, liegt vor mir, schwarz auf weiß, die Einladung für diesen Tag, auf den wir nun seit 5 Jahren warteten. Dieser Tag, der Tage, der einen Lebensabschnitt vollendet und einen neuen, so lang ersehnten endlich in greifbare Nähe rücken lässt. Natürlich fahren alle, die einsatzbereit und abkommandierbar sind, nach Kamenz, um mit uns dieses Ereignis zu feiern. Nur meine Eltern, die sich gerade im Urlaub befinden, können nicht dabei sein. Ich nehme ihnen das etwas übel, haben wir seit 5 Jahren gewusst, dass dieser Tag kommen wird. Scheiß Planung. Was mich aber freudig stimmt, auch Oma Lieschen und Opa Walter sind mit von der Partie. Sie haben sich sofort bereit erklärt, abends auf die Kinder aufzupassen, damit wir diesen Tag rundherum genießen können. Ich bin ihnen sehr dankbar, weiß gar nicht, wann sie das letzte Mal Berlin verlassen hatten.
Einen Abend vorher bin ich noch mit meinem Bruder und seiner Freundin Jana, die später Ehefrau und Mutter seiner 2 Kinder werden wird, verabredet. Beide hatten sich gerade, nach einer Trennung, wieder gefunden und wollen mich nun ins Vertrauen ziehen. Wir treffen uns in der Wohnung unserer Eltern, wo ich mit den Kindern dann auch gleich übernachte, werden bis in die Nacht hinein reden, auch etwas trinken und ich stehe am nächsten Morgen mit einem dicken Kopf auf. Ich könnte mich selber schlagen, wie unvernünftig von mir. Dieser Tag, für den wir 5 Jahre so viel auf uns genommen hatten und nun habe ich einen dicken Kopf.
Die Fahrt nach Kamenz wird zur Kraftanstrengung, die Kopfschmerzen schaukeln sich zu einer saftigen Migräne hoch. Ich habe mittlerweile den Verdacht, dass nicht nur der gestrige Abend die Ursache sein kann. Ich bin so gar kein Migränemensch, kann die Anfälle, die mich im Leben plagten, an einer Hand abzählen.
Bernd, Dirks Bruder und Sabine haben diesmal auch ihren kleinen Benjamin, noch nicht 2 Jahre alt, mit im Gepäck. Ein wirklich süßer Knirps mit einem leichten Silberblick. Sabine sieht mich leiden und bietet mir an, das Fahren zu übernehmen. Irgendwann nehme ich dankbar an.
Endlich in Kamenz angekommen, heißt es, die Fahrzeuge abstellen und ab auf den Festplatz. Eigentlich ist dieser Platz ein Fußballstadion aber das ist heute schwer zu erkennen. Wir suchen uns eine Bankreihe, auf der genug Platz für uns alle ist und wir einen guten Blick haben. Die Kinder, sehr aufgeregt, schaffen mich ungemein. Mandy zappelt und plappert, als gäbe es kein Morgen, Steffi weint am laufenden Band. Sie, mittlerweile 5 und 3 Jahre alt, können sich nicht wirklich vorstellen, dass Papa nun für immer nach Hause kommt: „Wohnt er denn dann richtig bei uns, so für iiiiiiiiimmer?“
Die Sitzplätze füllen sich in Kürze. Viele sind gekommen, um ihre Ehemänner, Verlobten, Freunde, Söhne, Brüder oder Enkel, an diesem Tage zu feiern. Der Einmarsch der zukünftigen Offiziere verursacht mir eine Gänsehaut. Zug um Zug begeben sie sich auf die Plätze, Piloten, Techniker, eben alle Absolventen, die hier in diesem Jahr die Ausbildung erfolgreich beenden konnten. Dann Ansprachen, Kommandos, Entgegnungen und Schwüre. Nun ist es soweit: - Die erste Reihe kniete nieder, die Schulterstücke der Offiziersschüler werden nun entfernt und sie werden sichtbar, diese Schulterstücke eines Offiziers, die den Beginn dieser neuen Ära nun offiziell und amtlich machten.
Später wird es im Kreise der Piloten noch eine Abschlussfeier geben. Natürlich wird diese mit einer Ansprache eröffnet. Man bedankt sich bei den Eltern, Geschwistern, Großeltern, Freundinnen und ich hatte persönlich den Eindruck, bei dem ganzen Rest der Welt, für den Rückenhalt und das Durchhaltevermögen. Tosender Beifall. Nicht, dass ich den Gehuldigten diesen Dank nicht gönnte, aber wo blieben die Ehefrauen und Kinder? Ich hörte nichts. Ganz langsam spürte ich kalte Wut aufsteigen. Es war, als liefe ein Film im Zeitraffer vor meinen Augen ab:„Aha, also hier hast du gar nicht existiert, hier gab es nur Eltern, Großeltern und naja, eventuell ne kleine Freundin.“
Just in dem Moment, als der Redner endet und mit trockenem Mund schon sehnsüchtig auf sein Glas schielt, stehe ich ganz langsam auf und beginne, zu klatschen. Für all die Ehefrauen und Kinder, die, so wie wir, auf ihren Mann und Papa gewartet haben aber vor allem, ganz allein für mich. Meine einstimmige Meinung, ich hatte es verdient.
Später werde ich an der Bar zufällig Zeuge eines kurzen Gespräches: „Weist du, wer da vorhin geklatscht hat???“„Das kann eigentlich nur die Böckmann gewesen sein.“
Ja, sie war es


