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Notverfahren - emergency procedures

Verfasst: Mo 14. Okt 2013, 23:33
von DDR-TKB
Hallo, aus einem anderen Thread entstand eine Diskussion über ein Notverfahren zum Thema "Strömungsabriss".
Grundlage dafür ist das Dokument: http://www.haringkorn.at/Downloads/Otmar/flusi_im_unterricht.pdf

Kilo Mike Sierra hat geschrieben:...Das Manuskript ist eine große Fleißarbeit, aber leider strotzt es auch vor teilweise recht groben Fehlern. [...] Obwohl der Autor anfangs das Phänomen Strömungsabriss (Stall) weitgehend richtig erklärt, liefert er bei der Beschreibung des Ausleiten eines Strömungsabrisses (S. 35) leider die Fahrkarte zum Friedhof ("Höhenverlust darf ... maximal 500 ft betragen."). Das ist jedoch nicht seine Schuld, denn dieser und noch anderer gefährliche Unsinn steht bis heute in den Ausbildungsunterlagen bzw. Lehrbüchern für UL-, Segel- und Motorflug. [...] Sehr gute Handbücher (Lehrbücher) in englischer Sprache gibt es kostenlos bei der FAA.
Besonders zu empfehlen ist das "Pilot's Handbook of Aeronautical Knowledge". [...]


Mein Beitrag dazu:

DDR-TKB hat geschrieben:Danke für die differenzierte Betrachtung.

Kilo Mike Sierra hat geschrieben:...liefert er bei der Beschreibung des Ausleiten eines Strömungsabrisses (S. 35) leider die Fahrkarte zum Friedhof...


Was genau ist deine Kritik an dem beschriebenen Verfahren?

Re: Notverfahren - emergency procedures

Verfasst: Di 15. Okt 2013, 03:27
von Kilo Mike Sierra
Im konkreten Fall ist es die immer wieder ins Spiel gebrachte Forderung, beim Ausleiten eines überzogenen Flugzustandes (incl. Trudeln) möglichst wenig Höhe oder nicht mehr als x ft Höhe zu verlieren.
Das wird so geübt und wohl auch unter diesem Gesichtspunkt geprüft.

Dabei ist diese Forderung nach einem sehr eng begrenzten Höhenverlust nicht nur unnötig und unsinnig, sondern auch gefährlich.

Fangen wir an mit unnötig. Es gibt keinen plausiblen Grund, weshalb man bei einem plötzlichen Stall in sagen wir 5.000 ft über Grund am Rande des Abgrundes balancieren soll, nur um ja nicht mehr als 200 ft Höhe zu verlieren. Das ist nicht nur unnötig, sondern zugleich auch unsinnig.

Gefährlich ist es deshalb, weil man damit dem Flugschüler beibringt, der Einhaltung der Flugbahn mehr Priorität einzuräumen als der erforderlichen Reduzierung des Anstellwinkels.
Wer beim Ausleiten eines Stalls noch auf den Höhenmesser schielt, um den Stall möglichst "sauber" oder optimal auszuleiten, der kann ganz schnell in den nächsten Stall-Zustand geraten, was auch als "secondary stall" bezeichnet wird. Ursache hierfür ist die voreilige Wiedererhöhung des Anstellwinkels durch Ziehen am Steuerknüppel, um die Flugbahn in den Horizontalflug überzuführen.

Bei einem "full stall" oder "deep stall", d.h. bei einer deutlichen oder sogar extremen Überschreitung des kritischen Anstellwinkels, kann ein kleines Flugzeug durchaus 1.000 ft Höhe zum sicheren Ausleiten erfordern. Bei einem großen Verkehrsflugzeug kommen wir u.U. in die Region von 10.000 ft.
Wer sich da irgendeiner Höhenbeschränkung unterwirft, obwohl er eigentlich noch ausreichend Platz nach unten hat, der provoziert den "secondary stall" und hat damit sofort sein Problem und den real erforderlichen Höhenverlust verdoppelt. Es gab sogar Fälle, wo sich das Ausleiten und das ungewollte "Wiedereinleiten" in den Stall zyklisch wiederholt hat - bis zum Aufschlag.

Ein weiteres Problem dieser Lehrbuchtexte ist, daß Verfahren beschrieben werden, die nur an der Grenze zum überzogenen Flugzustand ("stall entry") funktionieren - nicht aber als Ausleitverfahren für einen bereits eingetretenen Stall ("stall recovery"). Man kann damit nur verhindern, daß sich ein beginnender Stall zu einem richtigen Stall entwickelt. Wendet man die beschriebenen Verfahren für letztere Situation an, dann ist der Ausgang jedoch ungewiß.

Ich finde, man sollte schon auf den Höhenmesser schielen, aber nur um festzustellen, wieviel vertikalen Spielraum man insgesamt zur Verfügung hat.


Die Engländer und Amerikaner haben es gut. Während wir von Strömungsabriß oder überzogenem Flugzustand sprechen müssen, sagen sie einfach Stall und sind schon fertig.

Re: Notverfahren - emergency procedures

Verfasst: Di 15. Okt 2013, 08:57
von EA-Henning
Ich bin der Meinung, dass die Autoren von Lehrbuchtexten durchaus mal mit solchen Zuständen in einem Full-Flight-Simulator konfrontiert werden sollten. Allerdings dürfte das dann wieder an der Kostenfrage und/oder Verfügbarkeitsfrage scheitern.

Re: Notverfahren - emergency procedures

Verfasst: Di 15. Okt 2013, 18:23
von Flieger Bernd
"Fahrt ist das halbe Leben" - sagte mein Fluglehrer Heinz Schulz in Stölln und schon "schmierten" wir ab
und bei Stömungsabriß - das ganze Leben ....
also das Wichtigste - Fahrt aufholen,
wen interessiert denn da die Höhe, wenn sie denn reicht.
Sollte die Höhe zum Fahrt aufnehmen nicht reichen,
ist der Rest auch egal.

Re: Notverfahren - emergency procedures

Verfasst: Mi 16. Okt 2013, 13:00
von Kilo Mike Sierra
EA-Henning hat geschrieben:Ich bin der Meinung, dass die Autoren von Lehrbuchtexten durchaus mal mit solchen Zuständen in einem Full-Flight-Simulator konfrontiert werden sollten. Allerdings dürfte das dann wieder an der Kostenfrage und/oder Verfügbarkeitsfrage scheitern.

Flugsimulatoren sind für "richtige" Stall-Übungen immer noch nicht geeignet, weil hierfür Flugtestdaten fehlen, um die Simulatorleistung in diesen Flugzuständen validieren zu können.
Die Autoren dieser Lehrbücher dürften durchweg Fluglehrer sein und somit alle diese Übungen unzähligemale selbst geflogen haben. Nur leider entspricht die mitgelieferte Flugtheorie schon lange nicht mehr dem heutigen Erkenntnisstand. Irgendwie scheint man in der General Aviation bei der fliegerischen Grundausbildung (PPL u.ä.) auf dem Wissenstand der 30er und 40er Jahre stehengeblieben zu sein. Das ist deshalb bedenklich, weil auch nahezu alle Verkehrspiloten über die Allgemeine Luftfahrt in diesen Beruf kommen.